~ Die Küche der Zwerge ~


Hier tatsächlich von Küche zu sprechen ist sehr verwegen, ja geradezu lasterhaft. Zwerge, jene Kinder des Steins, das erwählte Volk Sils, sind furchtlos, tapfer, äußerst unempfindlich gegen Magie, die besten Schmiede, herausragende Baumeister, Erfinder, Alchemisten, überragende Krieger, die Hüter der Ketten, welche das Herz der Welt umspannen und der heiligen Feuer im Leibe Rohas, können loyal sein bis in die Knochen, geben die besten Freunde und Kampfgefährten ab, wenn man ihr Vertrauen einmal erworben hat, sind äußerst trinkfest und mit Sicherheit ein absolut bemerkenswertes Volk… was sie nicht können, ist kochen. Überhaupt nicht. Wortwörtlich haben sie keinen Sinn und schon gar kein Talent für noch nicht einmal die allerniedersten Gefilde der Essenzubereitung in welcher Form auch immer. Das ist absolut buchstäblich zu verstehen. Ein Zwerg mag ein überragender Alchemist sein und spielend die explosivsten Brandöle und wirksamsten Tränke zusammenbrauen können, er wird völlig überfordert damit sein, auch nur einen Topf Wasser zum simmern zu bringen (oder er lässt es anbrennen). Trotz dieser Widrigkeiten und obwohl sie aus Stein geboren werden (genaugenommen wachsen sie aus Stein, aber das nur am Rande), müssen auch Zwerge Nahrung zu sich nehmen. Jene Glücklichen, die an der Oberfläche leben, nehmen sehr schnell – um nicht zu sagen mit unverhohlener Hast und entsprechender Gier – die Essgewohnheiten der Völker an, unter denen sie gerade leben, denn auch Zwerge besitzen durchaus einen Geschmackssinn (wenn der auch zunächst einmal völlig verkümmert ist und sich erst entwickelt, wenn sie ihre unterirdischen Reiche verlassen haben). Diejenigen jedoch, die nie an die Oberfläche kommen, müssen mit dem Vorlieb nehmen, was dort an Essbarem wächst, gedeiht, kreucht oder fleucht. Natürlich führen alle Zwergenvölker, die mit Menschen oder anderen Wesen Handel treiben, inzwischen längst Nahrungsmittel von der Oberfläche ein, vor allem Korn, Feldfrüchte, Bier, Met und Wein, allerdings natürlich längst nicht in einem Maße, als dass sie nur allein davon leben könnten – und ihre 'Kochkünste' hat auch dieser Umstand in keiner Weise verbessert.

Grundnahrungsmittel aller Zwergenvölker (ausgenommen vielleicht der Fro'gar doch das weiß man nicht genau), ganz gleich ob in Immerfrost oder auf Morr'marzama sind Krettakrettpilze. Diese erstaunlichen, baumschwammartigen, aber sehr groß werdenden Gewächse gedeihen in allen Zwergenreichen. Genaugenommen kommen sie überhaupt nur dort unterirdisch vor, wo Zwerge leben, man nimmt also an, es gibt sie auch im Unterreich (und sie werden auch dort gegessen). Krettakrett sind äußerst vielseitig einsetzbar – man kann sie roh verzehren, koche, braten, dünsten, schmoren, frittieren, einlegen, dörren, lufttrocknen, zu grobkörnigem Mehl vermahlen und eine Art Brot (böse Zungen behaupten Wurfgeschosse) daraus backen, sogar räuchern und hernach Bier aus ihnen brauen.

Sie sind – zumindest für Zwerge – außerdem so nahrhaft, dass sich sämtliche Völker der Kinder Sils vom Fro'gar bis zum Feuerzwerg auch ausschließlich von ihnen ernähren könnten, ohne dabei irgendwelche Mängel zu erleiden. Einziger Nachteil der Krettakrettpilze ist, dass sie immer und ganz gleich, was man auch mit ihnen anstellt oder wie man sie würzt, mariniert, beizt oder ihnen sonst wie beizukommen versucht, schmecken wie Haferbrei (manche behaupten auch wie Bücherleim). Es gibt in der zwergischen Ernährung also Krettabrot (Krettagûrr), Krettabissen (Krettakusok; bezeichnet alles, was mehr oder minder mundgerecht aus Krettakrettpilzen zubereitet wurde, egal auf welche Weise) und Krettastaub (Krettapylir; gemeint ist das Mehl). Geräucherte Krettakrettpilze sind außerdem der Hauptbestandteil des zwergischen Wolfsbieres.

Ein weiteres Nahrungsmittel, das in großen Mengen verzehrt wird, sind violette Granitschwämme, ebenfalls eine Pilzart, die jedoch meist als eine Art "Eintopf" zubereitet werden, wobei in der "zwergischen Küche" unter Eintopf verstanden wird, dass man das, was man verzehren möchte, in ein Behältnis ausreichender Größe wirft, auf ein Feuer stellt und wartet, bis es heiß ist. Ansonsten tut man nicht viel damit und wenn es anbrennt, dann schmeckt es wenigstens nach irgendetwas. Mit Rotknollen (einer Art unterirdisch wachsender, recht nahrhafter kartoffelähnlicher Frucht) und Chrettchretts (ebenfalls eine Art holziger, recht großer Pilz) verfährt man nicht anders. Mit diesen sagenhaften vier Ingredienzien – Krettakrett, Granitschwamm, Rotknolle und Chrettchrett - erschöpft sich auch schon der Anteil pflanzlicher Nahrungsmittel in der Küche der Zwerge.

Was das Fleisch oder tierische Nahrungsmittel angeht, so kann man allgemein sagen, dass Zwerge dazu neigen, alles, was sich irgendwie erschlagen und auf einen Tisch zerren lässt, auch zu essen. Sie sind da in keiner Weise wählerisch. Hauptsächlich bestehen die tierischen Zutaten in der Zwergenküche noch immer aus dem Verwertbaren unterirdisch lebender Geschöpfe, von Felsenwürmern, Steinschnecken und Riesenasseln über Glimmerschwirrer und andere Fledermausarten, von Felsenmuscheln und in unterirdischen Wasserläufen lebenden Fischen und Amphibien jeder Form, Farbe und Größe bis hin zum Kraathe (einer ziemlich großen Mullart). Allerdings bereichern sämtliche Zwergenvölker wo immer es möglich ist ihren Speisezettel auch mit denjenigen Tieren, welche die Jäger ihrer Himmelswächter oberirdisch erbeuten können, und sie essen dabei von der Bergziege bis zur Chimaira tatsächlich alles, was sich überwältigen lässt.

Allerdings sind sie in der Zubereitung ihrer tierischen Speisen ebenso fantasie- und lieblos wie mit ihren übrigen Nahrungsmitteln. Fleisch wird weder gewürzt, noch mariniert, gebeizt oder eingelegt, sondern lediglich in einen Topf oder eine Pfanne geworfen oder auf einen Bratspieß gesteckt, und dann mehr oder weniger anständig über dem Feuer gegart oder gebraten. Das geflügelte Wort "außen verbrannt, innen roh" könnten durchaus die Zwerge erfunden haben. Man darf außerdem erwarten, das Fleisch "am Knochen" zu bekommen, denn mit solchem Firlefanz wie Zerteilung und Zerwirkung halten sich Zwerge für gewöhnlich gar nicht erst auf. Sie stellen zwar durchaus Räucherwaren her, halten sich von solchen Dingen wie der Wurstherstellung oder dem Pökeln tunlichst fern. Immerhin weiden sie größere Beutetiere im Allgemeinen vor der Verarbeitung wenigstens aus. Felsenmuscheln – die einzige in Höhlen lebende Muschelart der Immerlande – werden für gewöhnlich in großer Zahl und als alltägliches Essen verzehrt (wiederum entweder gekocht, gedünstet, gegrillt, gebraten, ge-was-auch-immer), schlicht und einfach aus dem Grund, weil es sie wie die Krettakrettpilze in allen Zwergenreichen gibt wie Sand am Meer, und sie sich auch nicht erst noch groß wehren, wenn man sie von den Steinwänden pflückt. Auch Riesenasseln und Trilobiten – die man praktischerweise gleich in ihrem Panzer kochen, braten oder grillen kann – werden gern und in großer Menge verzehrt.

"Gewürzt" werden sämtliche Speisen, wenn überhaupt, dann mit solch schmackhaften Dingen wie Steinmehlen, Kupferstaub, Goldspänen oder ähnlichen Dingen. Feinheiten, Rezepte und Spezialitäten gibt es in der zwergischen Küche schlicht und einfach nicht – abgesehen vielleicht vom Zwergenbrand, einem ziemlich starken Branntwein, den es je nach Zwergenreich in verschiedenen Ausführungen gibt, und dem Wolfsbier, dem zwergischen Alltagsgetränk schlechthin. Wolfsbier wird hauptsächlich aus geräucherten Krettakrettpilzen gebraut und besitzt daher einen ziemlichen Räuchergeschmack. Versehen mit reichlich Steinsalz schmeckt es in etwa – wenn man den Berichten menschlicher Verkoster dieses Gebräus Glauben schenkt – "als würde man flüssigen Räucherspeck trinken". Es finden sich zwar immer wieder Liebhaber dieses Gesöffs auch bei anderen Völkern, aber für gewöhnlich wird dieses helle, doch ziemlich starke, rauchige Bier hauptsächlich von Zwergen getrunken. Überraschenderweise schmeckt Wolfsbier ihnen sogar fast ausnahmslos allen (traditionell lebenden wie Oberflächen-Zwergen) und sie sind, auch wenn sie das nie zugeben würden, doch sehr stolz darauf, wenigstens irgendetwas geschmacklich auch für andere als Ihresgleichen erträgliches hervorgebracht zu haben. Es soll Oberflächenzwerge geben, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg rudimentäre Kenntnisse des Kochens erlangt haben, und in Talyra soll gar ein Eisenzwerg leben, der nicht nur ein hervorragender Esser, sondern in fortgeschrittenem Alter inzwischen auch ein leidlich guter Koch geworden ist (was wohl vor allem seiner außergewöhnlichen Frau zu verdanken ist) – doch das sind die absoluten Ausnahmen der Regel.

Da die zwergischen Kochkünste derart miserabel, um nicht zu sagen überhaupt nicht vorhanden sind, kam es im Verlauf der Geschichte schon zu ernsthaften Eklats deswegen. Als Abgesandte der laiginischen Könige etwa zum ersten Mal nach Mazandar eingeladen worden waren, und man ihnen dort gastfreundlich etwas zu essen vorsetzte, wäre es beinahe darüber zu einem Krieg gekommen, weil die Gesandtschaft – zu Recht! – dem Irrglauben verfallen war, man wolle sie vergiften. In Immerfrost dürfte es bei Gesandtschaften in die dortigen Zwergenstädte zu ähnlichen Szenen gekommen sein. Aus diesem Vorfall klug geworden, gehört es mittlerweile (zumindest in Laigin) zum festen Brauch, bei einem offiziellen Antrittsbesuch in ein Zwergenreich nicht nur ausreichend Nahrungsmittel, sondern auch Köche für selbige mitzubringen. Zu guter Letzt sei jedem unerfahrenen Abenteurer, Reisenden, Söldner oder Herumtreiber dringend geraten, sollte er auf seinen Fahrten und Wanderungen einem oder mehreren Zwergen begegnen, die noch nicht lange an der Oberfläche (oder möglicherweise einfach verbohrte Traditionalisten) sind, und sollten diese ihm etwas von ihrer Nahrung anbieten, sich nur mit Vorsicht auf dieses Wagnis einzulassen. Über Krettagûrr lässt sich immerhin sagen, dass man es durchaus essen kann – aber das gilt ja auch für durchgeschwitzte Stiefelsohlen. Außerdem braucht man extrem gute Zähne und starke Kiefermuskeln dafür, das steinharte Krettabrot überhaupt beißen zu können. Als Wurfgeschoss dürfte es sich jedoch tatsächlich hervorragend eignen.



 

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