In der Bibliothek zu Serathie hängt ein altes und sehr imposantes Schild mit folgendem Sprichwort: "Bücher sind Schiffe, die es ermöglichen, die Weiten des Ozeans der Zeit zu durcheilen." Es stammt von Frans Bakonen, einem berühmten Feuermagier und Gelehrten aus Immerfrost, der einst den Grundstein für eine der größten Sammlungen von Schriften über die arkane Magie legte. Er verfasste auch selbst zahlreiche Schriftstücke zu den verschiedensten Angelegenheiten, von denen einige noch heute als große Werke gelten. Für ihn war das geschriebene Wort sein Leben, sowohl Lebensinhalt, als auch Lebensunterhalt. Doch diese große Bedeutung von Büchern und Schriften herrscht sicher nicht in den ganzen Immerlanden, sondern ist von Volk zu Volk und Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Es gibt zahlreiche Völker, die ihr Wissen und ihre Geschichten schon von jeher nur mündlich von Generation zu Generation weitergeben und keine Schrift entwickelt haben, obwohl sie durchaus dazu in der Lage wären, etwa die Faune, die Narge oder Oger, aber auch Menschenstämme wie das Wolkenvolk, die Malankari, die Waldkinder, die Stämme des Nordens oder die Ny Beayntee des Dunkelwaldes. Allerdings ist die Unkenntnis von Schrift nicht der einzige Grund, aus dem mündliche Überlieferungen vorgezogen werden – manche halten schlicht aus Tradition oder Glauben daran fest, beispielsweise die Feen und Adamarah, die fahrenden Händler der Herzlande und das Flussvolk der Rhaínlande. Viele von ihnen können Lesen und Schreiben, halten aber dennoch nichts schriftlich über ihre Völker und deren Vergangenheit fest. Doch von den meisten sesshaften oder, wenn man so will, sogenannten 'zivilisierten' Völkern, ganz gleich ob Menschen oder andere, wird die Schrift heute, im Fünften Zeitalter, ganz selbstverständlich genutzt und das Niedergeschriebene in irgendeiner Form gesammelt, mal mehr, mal weniger organisiert. In einigen größeren Städten hat sich sogar eine Vielzahl an Berufen rund um das Schreiben, schriftliche Aufzeichnungen und die Buchherstellung entwickelt und es gibt mancherorts riesige Bibliotheken mit dem gesammelten Wissen von Jahrhunderten, wahre Schätze der Kulturen.
Doch nur, weil die Schriftsprache in den meisten Ländern der Immerlande bekannt ist, bedeutet das nicht, dass sie auch tatsächlich von jedem beherrscht wird. Nach wie vor gibt es, gerade in ländlichen und entlegenen Gebieten viele, für die die Schrift in ihrem Alltag keine oder keine große Rolle spielt und die sie daher nie erlernen. In den allermeisten Ländern können Kinder zwar grundsätzlich Tempelschulen besuchen, bei den Dorfpriestern oder irgendwelchen Gelehrten lernen, doch nicht jede Familie kann es sich auch leisten, allen Kindern das Erlernen dieses Wissens zu ermöglichen. In den meisten Ländern und Reichen der Immerlande ist es aber doch zumindest in Adelskreisen und natürlich im Klerus inzwischen selbstverständlich, Lesen und Schreiben zu erlernen und in Städten mit einem ausgeprägten Bürgertum und einer breiten Mittelschicht an Handwerkern und Kaufleuten ist es gar unerlässlich geworden, dass auch diese es beherrschen – oder zumindest jemanden beschäftigten, der es kann. Büchersammlungen und öffentlich zugängliche Bibliotheken werden allmählich auch für das gewöhnliche Volk von größerer Bedeutung, denn Bücher sind immer noch so kostbar, dass nur wenige sie sich leisten können - aber das Lesen und Schreiben, und damit auch der Wissensdurst wachsen. Bücher werden nach wie vor größtenteils von Skriptoren und Kopisten von Hand abgeschrieben, was unendlich viel Zeit, Sorgfalt, Mühe und Arbeit kostet. In den Rhaínlanden gibt es jedoch seit jüngstem eine neue, bahnbrechende Entwicklung, die möglicherweise in den nächsten Jahrzehnten eine grundlegende Veränderung in der Buchherstellung bringen könnte: dort wird nämlich mit dem Druck von Schriften durch metallische und hölzerne Platten beziehungsweise Tafeln experimentiert - und Gerüchten zufolge soll dies die Herstellung rasant beschleunigen. Durchgesetzt hat sich die neue Technik zwar noch nicht, doch das könnte sich in den nächsten Jahren rasch ändern. Während manche Gelehrte es als Dämonenwerk ansehen, hoffen doch viele auf eine Zukunft, in der Bücherwissen der Altvorderenzeit nicht mehr verloren gehen wird, weil die Skriptoren sie gar nicht schnell genug kopieren können, um den Schatz ihres Inhaltes vor Verfall und Zerstörung zu bewahren.
Doch seit wann gibt es die Schrift und wann entstanden die ersten Bücher? Der Ursprung der Buchherstellung ist unsicher, mit Sicherheit kann nur gesagt werden, dass Ogh der Reimer auf Geheiß seines Gottes Lyr die allerersten Schriftzeichen ersann. Bis sich jedoch die Schrift seit jenem denkwürdigen Tag auch unter den Völkern verbreitete, sollte noch viel Zeit vergehen. Wann dann genau das erste Buch entstand, kann wohl niemand mehr sagen, doch es muss Jahrtausende her sein. In der legendären Siffer Chessed Bibliothek zu Qum’Ran soll es eine einzigartige Sammlung der ältesten Schriften gegeben haben, doch wurden diese während des Großen Krieges am Ende des Vierten Zeitalters in Schutt und Asche gelegt und die Bibliothek zerstört. Einige Bücher konnten gerettet werden und ruhen nun in den Schatzkammern der Großen Bibliothek von Talyra und in den Hallen Lyrs in Vînnar, doch die Schätze und Wissenssammlungen, die damals verloren gingen sind unermesslich. Um einen solch unglaublichen Verlust in Zukunft zu verhindern, gingen die Vorsteher und Verwalter anderer Bibliotheken dazu über, von den bedeutsamsten Werken stets mehrere Abschriften zu verfassen und sie auch an andere Häuser der Bücher zu verteilen und man begann, Bücher- und Schriftrollenwissen tatsächlich zu sammeln, zu ordnen und zu archivieren. In all den Jahrhunderten seit der Verbreitung der Schrift sind sicher eine Unzahl von Sammlungen, Pergamentrollen und Papyrusbündel angefüllt mit Schriftzeichen, und natürlich auch Bücher zu den verschiedensten Themen entstanden und es werden nicht nur Aufzeichnungen von Wissen, Daten und Fakten verfasst, sondern auch offizielle Dokumente wie Grundbesitzurkunden, Gesetzesbeschlüsse, Logbücher oder die Bücher zur Buchhaltung der Händler, Bücher über Geschichte und große Ereignisse der Vergangenheit, über Völker, Künste und natürlich auch Geschichten selbst - Sagen, Mythen und Legenden, Lieder oder Balladen und wundersame Gedichte.
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