~ Die Totengeister der Immerlande ~

 

Berührte


"Es gibt nur eines, das schlimmer ist, als Geister: Lebende."
"Reit."

Somhairle und Déaghán Caerwynt, zwei berühmte Schattenjäger in "Schatten und Dämonen", dem Handbuch für Schattenjäger  


Wenn man von Berührten spricht, meint man damit nicht etwa den Geist, dessen Seele einen Abdruck im Herzen eines Leben hinterlassen, oder sogar in Teilen dort zurückgeblieben ist, sondern das Wesen, das durch die Totenseele berührt wurde. Denn in diesem Fall ist es nicht der Verstorbene, der unfähig ist vom Diesseits abzulassen, sondern der Lebende, der nicht bereit ist den Tod zu akzeptieren.


Eine als Trost gedachte Geste wird dem Verstorbenen in diesem Fall zum Verhängnis und wer immer eine derart tragische Geschichte miterlebt - oder sogar am eigenen Leib erfahren hat-  wird erst den wahren Ursprung und den tieferen Sinn der Redewendung "Wen du liebst, den lässt du gehen" in ihrem vollen, schrecklichen Umfang erfassen.


Öfters als man glaubt verweilt eine Totenseele noch für den Bruchteil eines Augenblicks im Diesseits, um sich mit einer letzten Berührung von einem geliebten Wesen zu verabschieden. Danach folgt sie Sithechs Ruf, überquert die Purpurnen Flüsse und kehrt in seine Hallen ein. In den meisten Fällen erfährt der Hinterbliebene diese Berührung wie den wärmenden Kuss eines Sonnenstrahls, der kurz sein Gesicht streift und die dunklen Schatten ein wenig vertreibt.


Seltener spürt und erkennt das von Kummer erfüllte Herz die Präsenz und greift in Verzweiflung danach, voller Angst einsam und alleine in einer Welt zu verbleiben, die ohne die Anwesenheit des Verstorbenen keinen Sinn mehr zu ergeben scheint.
Die Totenseele kann sich diesem Verlangen entziehen, wenn sie stark genug ist, doch wer ist schon so kalt, ein geliebtes Wesen in dem Augenblick von sich zu weisen, in dem es seiner am meisten bedarf?


Schafft es ein Geist nicht, dieses Flehen nach Nähe zurückzuweisen, hinterlässt seine Seele entweder eine Art von lebendiger Erinnerung im Herzen des Lebenden, gleich einer Spur im Sand, oder aber seine Seele zerreißt im Ringen um Diesseits und Jenseits und ein Teil bleibt im Inneren des geliebten Wesens zurück. Ein solches Ereignis hinterlässt sichtbare Spuren bei den Hinterbliebenen. Dies können weiße Strähnen oder sogar vollständig ergrautes Haar, ein verworrenes Symbol oder bleiche Flecken auf der Haut sein - und sofern ein Seelenstück zurückgeblieben ist, kann ein Lebender sogar für kurze Zeit im grauen Zwielicht zwischen Tod und Leben wandeln. Ob und wann und wie lange das geschieht, kann er jedoch in keiner Weise beeinflussen.


Ist es nur eine lebende Erinnerung, schwindet die Bindung mit der Zeit. Es kann Tage, Siebentage, sogar Monde dauern, bis sie verblasst, aber sie tut es und dann kann die Totenseele die Purpurnen Flüsse überqueren. Bleibt jedoch ein Teil der Seele zurück, gefangen im trauernden Herzen, so ist der Totengeist dazu verdammt, so lange ruhelos durch die Welt zwischen Jenseits und Diesseits  zu streifen, bis der Hinterbliebene den Mut und die Kraft findet loszulassen. Er und nur er kann den Toten gehen lassen. Weiß er nicht um die schreckliche Bindung, oder weigert er sich loszulassen, so muss die Totenseele im ewigen Grau ausharren, bis der Hinterbliebene ihm nachfolgt. Einsam und verlassen im Zwielicht, das eigentlich nur den Übergang darstellen soll. Ein schreckliches Schicksal, dass man niemandem aufbürden möchte. Doch manchmal ist die Angst vor der Einsamkeit ein übermächtiger Gegner…

 

 


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